Rezensionen

Hammer - Psychische Reife fördern

Dr. Richard Hammer, Motologe

Marion Esser (Hrsg.): Psychische Reife fördern. Psychomotorische Praxis Aucouturier in verschiedenen Arbeitsfeldern

In diesem Buch werden Kinder vorgestellt, mit denen in unterschiedlichen Arbeitsbereichen nach dem Ansatz Aucouturier gearbeitet wird. Bei allen diesen Kindern geht es vorrangig um psychische Reifung, um psycho-emotionale und psychosoziale Entwicklung. In einer Zeit, in der vorrangig die kognitive Förderung des Kindes im Mittelpunkt steht, ist dies keineswegs selbstverständlich. Es braucht Ansätze, die Menschen wieder einbetten in einen haltenden, sicheren Rahmen, Ansätze, die stützen, stärken und ermutigen – und wer wissen möchte, wie dies gehen könnte, findet in diesem Buch gute und fundierte Anregungen für eine gelungene Praxis.

Die Beiträge wurden geschrieben von PsychomotorikerInnen, welche die Ausbildung im „Ansatz Aucouturier“ am Ausbildungsinstitut ZAPPA absolviert haben und in unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig sind. Andrea Bay und Christine Hausch stellen die Umsetzung der Psychomotorik nach Aucouturier in der Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern vor und stellen dabei die Entwicklung des Kleinkindes aus der Sicht Säuglings dar – wobei sich zwangsläufig „Fördersituationen“ ergeben, wenn es gelingt, sich vom Ausdruck, vom Bewegen des Säuglings anrühren zu lassen und darüber in einen Dialog zu kommen.

Diese Bereitschaft ist auch in dem Beitrag von Dagmar Becker herauszulesen, wenn sie ihre Arbeit in einem Kindertagesheim schildert. Sie lässt sich ein auf die Kinder, geht mit ihnen in einen „tonischen Dialog“ und hilft den Kindern sich psychisch und emotional zu stabilisieren – als Voraussetzung dafür ein Selbst zu entwickeln und Regeln und Absprachen einhalten zu können. Die Nachhaltigkeit wird gewährleistet, weil es gelingt, auch die Haltung der Erzieherinnen zu verändern, ihre Bereitschaft zu einem intensiven Dialog mit den Kindern zu wecken.

Uta Schilde begleitet Kinder mit Entwicklungsverzögerungen im Kindergarten, verliert aber dabei nicht aus den Augen, dass auch die Eltern und Erzieherinnen überzeugt werden müssen. Es geht darum, Ausdruck und Bewegung des Kindes zu verstehen, ihm Raum zu bieten, im Spiel seine Persönlichkeit zu entwickeln und zu stabilisieren.

Kathrin Alsfasser stellt in ihrem Beitrag zunächst das Phänomen der Aggression als natürliche Entwicklungsvoraussetzung dar. Notwendig zur Entwicklung eines Selbst und gut gelungen, wenn das Kind „gehalten“ wird von einer „genügend guten Mutter“ (Winnicott). Gelingt dies nicht, werden Gefühle von Hass und Wut ins Unbewusste verdrängt, es entsteht Destruktivität, die Aggressionen werden zum Problem. Wie dieser Prozess nachgeholt werden kann, zeigt die Autorin am Beispiel einer Therapie mit einem Jungen, dem es gelingt, seine Aggressionen im Spiel zu Ausdruck zu bringen und sie damit weniger bedrohlich und handhabbar zu machen.

Gabriele Steigmüller wendet den „Ansatz Aucouturier“ in der Sprachförderung von Kindern an, die nicht reduziert ist auf die Förderung des Sprechaktes, sondern zurückgeht auf früheste Körpererfahrungen, da diese sein psychisches Leben begründen und somit Voraussetzug zum Beziehungsaufbau und damit auch jeglicher Kommunikation sind. Die „motorische Expression“ ist als essentielle Sprache Grundlage und Voraussetzung zum Spracherwerb.

Angst und Aggressivität stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Bruno Sardo, der in seiner Praxis zeigt, wie dem Kind im Spiel die Möglichkeit geboten wird seine Ängste und damit auch seine aggressiven Impulse zu bewältigen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit des Kindes spielen zu können. Fehlt diese, so muss die Arbeit des Therapeuten darauf ausgerichtet sein, „den Patienten aus einem Zustand, in dem er nicht spielen kann, in einen Zustand bringen, in dem er zu spielen imstande ist“ (Winnicott).

Dieses Ziel verfolgt auch Klaus Kokemoor in seiner Therapie mit einem autistischen Jungen, der in einer sehr praxisnahen und lebendigen Schilderung zeigt, wie ein Kind mit „Asperger-Syndrom“ von der Fixierung auf Gegenstände allmählich lernt, Beziehungen zu Menschen zu akzeptieren und aufzubauen – als Voraussetzung dafür sein Selbst zu bilden und Autonomie zu entwickeln. Könnte es sein, dass mit der in diesen „Spielstunden“ erworbenen Fähigkeit zu symbolisieren ein Symptom des „Asperger-Syndroms“ – nämlich das „als-ob-Spiel“ nicht zu können - geheilt worden ist?

Man darf keine Wunderdinge erwarten – und das zeigen auch die Beiträge dieses Buches. Eine Therapiestunde pro Woche kann nicht alle Probleme lösen. Sie braucht die Unterstützung des Alltags, es geht darum, in den pädagogischen Arbeitsfeldern Haltungen zu entwickeln, welche den Kindern und Jugendlichen Raum bieten autonom und selbständig zu werden, ihnen aber auch immer wider die Möglichkeit der Rückversicherung anzubieten, ihnen also den Halt zu geben, den sie brauchen. Wie das gehen könnte, lässt sich lernen - an der Praxis Aucouturier.