Rezensionen

zu »Beziehung wagen - Mit Körper und Bewegung (psycho-)therapeutisch arbeiten«

Klein: Rezension Beziehung wagen

Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein

Marion Esser: Beziehung wagen - Mit Körper und Bewegung (psycho-)therapeutisch arbeiten

Marion Esser ist Schülerin und hervorragende Interpretin der von dem Franzosen Bernard Aucouturier begründeten Psychomotorischen Praxis. Diese Praxis sieht vor allem die Motorik als individuellen inneren oder bio-psycho-sozialen Bewegungsausdruck der bisherigen Entwicklung des Menschen (Kindes). Die Autorin vertieft und veranschaulicht in ihrem Werk die therapeutische Beziehungskonzeption vor allem an fünf Beispielen aus der eigenen Praxis, die sie im Bonner »Zentrum für Aus- und Fortbildung in Psychomotorischer Praxis Aucouturier (ZAPPA)« dokumentiert hat.

Ihren Beispielen gehen überlegungen zur Prävention voraus, die angesichts gesellschaftlich bedingter Gefährdungen frühkindlicher Entwicklungsprozesse dringend geboten sind. Mit überzeugenden neurobiologischen und psychoanalytischen Argumenten wird auf die Identitätsentwicklung des Kindes durch freies Bewegen und Spiel aufmerksam gemacht. In sorgsam eingefügten Leseblöcken werden die Begriffe des Psychomotorischen Haltungs- und Handlungsprinzips zitiert und erläutert, die eine vertiefte Selbstreflexion der Beispiele ermöglichen. Praxis und Theorie greifen hier in sprachlich sehr gut nachvollziehbarer Weise ineinander.

Gerade die mit viel Empathie für die seelischen Grundbedürfnisse vorgestellten Beispiele lassen erkennen unter welchem seelischen Druck heute Kinder stehen und ihre Entwicklung vor allem durch die dominierende Angst erheblich gefährden (können). Und sie zeigen, wie in therapeutisch arrangierten Situationen auf der Basis eines wechselseitigen Vertrauens eine sich normalisierende Entwicklung des Kindes als leiblich-seelisch-geistige Einheit möglich ist. Das wird auch in bildlichen Darstellungen (Arbeiten mit Ton oder in Zeichnungen) dokumentiert. Im Anhang wir die integrierte Theorie-Praxiskonzeption der Ausbildung im »Zentrum für Aus- und Fortbildung in Psychomotorischer Praxis Aucouturier (ZAPPA)« vorgestellt, bei der die Selbsterfahrung und Selbsterprobung besonders beachtet wird.

Das anregende Werk ist ein Plädoyer für die Rettung der Kindheit, die zunehmend stärker unter unverantwortlichen Einflüssen der Um- und Mitwelt leiden. Das bewusst persönlich gehaltene Buch zeigt gleichsam am Modell, wie wir Vertrauen in die Beziehung zu unseren Kindern setzen können, um ihnen eine geglückte Entwicklung und Beziehung zu sich selbst und zu anderen Menschen ermöglichen. »Verteidigt die Kinder! So ruft uns der wohl größte Pädagoge des vergangenen Jahrhunderts, Janusz Korczak, zu. Heute sind unsere Kinder besonders zu »verteidigen und zu schützen – in einer Gesellschaft, die jeden Tag kinderfeindlicher wird« (S. 130). Ich wünsche dem einladend und leserfreundlich gestalteten Buch eine weite Verbreitung vor allem in Elternhäusern und Einrichtungen, denen die bedürfnis- und bedarfsgerechte frühe Betreuung, Erziehung und Bildung am Herzen liegt.

Ferdinand Klein (1934), Lehrer, Heil- und Sonderpädagoge, Sonderschulrektor der Erlanger Lebenshilfe-Schule, tätig an den Universitäten Würzburg, Mainz, Halle-Wittenberg und an der Fakultät für Sonderpädagogik Reutlingen. Nach Emeritierung (1997) Gastprofessor an der Comenius-Universität Bratislava und Gusztáv-Bárczi-Fakultät für Heilpädagogik der Eötvös-Loránd-Universität Budapest. Die Budapester Universität würdigte sein wissenschaftliches Werk und seine Verdienste um den Ost-West-Dialog mit der Verleihung des Titels »Doctor et Professor Honoris Causa«.

Hammer: Rezension Beziehung wagen

Dr. Richard Hammer, Motologe

Marion Esser: Beziehung wagen - Mit Körper und Bewegung (psycho-)therapeutisch arbeiten

Man könnte dieses Buch als ergänzendes Praxisbuch zum »Ansatz Aucouturier« verstehen, welches 2006 im Proiecta-Verlag erschienen ist. Es ist aber mehr. Es stellt in seinem ersten Teil ziemlich eindrücklich dar, warum es für Kinder so wichtig ist, sich frei bewegen und spielen zu dürfen. Ein starkes Plädoyer für das Spiel der Kinder und gegen die aktuellen gesellschaftlichen Trends, welche eher eine Verschulung der Kindheit verlangen.

Psychomotorische Praxis kann somit Prävention sein, kann aber auch ein wichtiger therapeutischer Ansatz sein – gegen die zunehmende Medikalisierung des Kindes. Dies ist Thema des zweiten Teils dieses Buches, welches in seinen Ausführungen basiert auf dem psychomotorischen Ansatz von Aucouturier, ohne die Kenntnis darüber vorauszusetzen. Das Kennen lernen ermöglichen die zahlreichen »Einschübe«, welche die dargestellte psychomotorische Praxis verstehbar machen.

Diese Praxis wird dargestellt in 5 Fallbeispielen, in denen - vermittelt durch Bilder und durch eine erlebnisnahe Beschreibung – gezeigt wird, wie Kinder die Geschichte ihres Körpers und ihrer Beziehungen in Szene setzen und über Bilder ausdrücken. Die Psychomotorik-Therapeutin unterstützt das Kind, indem sie eine körperliche und emotionale Beziehung mit ihm eingeht. Sie hilft dem Kind, Worte für sein Erleben zu finden.

Die Praxisbeispiele im Buch machen deutlich, wie tief und intensiv eine therapeutische Intervention über Körper und Bewegung sein kann. Zu allem Schweren, das der Mensch erlebt hat und zukünftig in sich trägt, das ihn prägt, möglicherweise hemmt, fesselt, leitet…muss es auch immer ein Gegengewicht geben: gute Bilder, schöne Bilder, warme Bilder von Erlebnissen, die ihn ebenfalls bestimmen und prägen und nach denen er suchen kann, wenn die Zeit gekommen ist.

Man könnte beinahe neidisch werden, weil man an diesem Prozess nicht teilnehmen konnte. Vielleicht gelingt es vielen Nachahmern in ihrer eigenen Praxis. Dieses Buch ist dazu sicher sehr hilfreich.